S – wie Schreiben

Unter dem Buchstaben G – wie Geschichten und Gedichte, habe ich bereits erzählt, wie wichtig das Schreiben für mich ist. Hier möchte ich noch einiges ergänzen.

 

Manche Menschen schreiben Tagebuch. Ich schreibe seit über 30 Jahren meiner Schwester Briefe. In ihr habe ich mein zweibeiniges Tagebuch, das mir sogar zurückschreibt. Inzwischen sind es über 26´000 Seiten. Sie füllen mehrere Aktenordner.

 

Als ich im Oktober 1986 nach Indien fuhr, waren Briefe der einzige Kontakt zwischen mir und den Daheimgeblieben; damals gab es weder Handy noch Skype. Meine Schwester Marie Theres kaufte sich einen Block mit grünem Luftpostbriefpapier und nahm sich vor  mir jede Woche einen Brief zu schreiben. 

 

Nach einem halben Jahr, wieder zurück aus Indien, hat sich der Briefwechsel fortgesetzt – bis heute. Unsere Briefe sind ein Zeitdokument. 

 

Ich schreibe morgens, denn ich liebe die stillen Stunden bevor der Tag erwacht. Meine Schwester schreibt mir abends, denn sie ist ein Nachtmensch. Ich beschreibe mein Erlebtes mit dem Abstand einer Nacht. Meine Schwester lässt den Tag aufs Papier fließen.

 

Irgendwann konnten wir feststellen, dass sie mir am Abend auf das antwortet, was ich am Morgen geschrieben habe. „Paralleles Schreiben“ haben wir es genannt.

 

Wir schreiben aber beide nicht nur Briefe, sondern auch Kurzgeschichten. Meine Schwester besuchte über Jahre die Schreibseminare mit Jürgen von Scheidt in München, und immer habe ich davon profitiert. So entstand bei Marie Theres die Figur der kleinen Hexe Tabaogaste, und ich kreierte Quinnelinse. Die beiden haben sich ausgetauscht über Lieselotte und Marie Theres und hatten manches Lächerliche, manches Kritische zu erzählen.

 

Später, inspiriert durch Franz Hohler und Jürg Schubiger mit ihren Hin- und Hergeschichten, haben wir uns Texte geschickt, auf die die jeweils andere reagieren konnte. So ist z. B.  ein Dialog zwischen einem alten Wählscheibentelefon und einem Handy entstanden.

 

Schreiben würde ich aber nicht als Hobby bezeichnen, eher als innerlich drängende Notwendigkeit. Denn im Schreiben wendet sich manche Not, befreit sich mancher Gedanke aus seinem Hamsterrad, klärt sich Vernebeltes. Ich taste mich damit auch an Ängste heran. So kann eine Lösung oder Loslösung entstehen.

 

Neben der Meditation ist das Schreiben für mich die inspirierenste Quelle für meine Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung.